Don Isidoro Blanco Fernandez, Der fast vergessene Entdecker aus Kantabrien

 

Don Isidoro Blanco Fernandez

Der fast vergessene Entdecker aus Kantabrien
Eine Familiengeschichte zwischen Schafsherde, Zufall und wissenschaftlicher Bedeutung

Eingestellt von Mario Viggiani – Juli 2025


In den feuchten, grünen Höhenzügen des kantabrischen Hinterlandes, wo Nebel sich wie Schleier über die uralten Eichenwälder legen und kleine Flüsse die Landschaft ziselieren, liegt das Tal Cabuérniga – eine Gegend von unverfälschter Schönheit und tiefer Vergangenheit. Kaum jemand hätte wohl gedacht, dass ausgerechnet hier in der Nähe (Puente Viesgo), inmitten der entbehrungsreichen Lebenswelt der ländlichen Bevölkerung, eine der bedeutendsten archäologischen Entdeckungen Spaniens ihren Ursprung haben würde.

Es ist die Geschichte von Don Isidoro Blanco Fernandez, einem Mann, den die Historie zunächst vergaß – und den sie nun, langsam und zögerlich, in ihr Gedächtnis zurückruft.


Zwischen Hirtenleben und Höhlenwelt

Die frühen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren in Nordspanien geprägt von Entbehrungen, wirtschaftlicher Not und einer tiefen Verwurzelung der Menschen im Rhythmus der Natur. Für die Familien in der Gegend um Puente Viesgo, südlich von Santander, war das Halten von Schafen und Ziegen keine romantische Idylle, sondern Überlebensnotwendigkeit. Bildung war ein Luxus – und für viele Kinder nicht erreichbar. Auch Isidoro Blanco, geboren um das Jahr 1911, wuchs unter diesen Bedingungen auf.

Bereits als kleiner Junge musste er Verantwortung übernehmen. Mit kaum mehr als sieben Jahren hütete er eine kleine Schafherde, allein in den Bergen. Der Himmel über Kantabrien ist wechselhaft – Regen ist ein ständiger Begleiter. So suchte der junge Isidoro während eines Unwetters Unterschlupf in einem Höhleneingang, der ihm zunächst nichts weiter als Schutz vor Wind und Wasser zu bieten schien.

Doch was er fand, war weit mehr: ein unterirdisches Labyrinth, dessen wahre Bedeutung erst Jahrzehnte später wissenschaftlich erschlossen werden sollte. Die später so genannte Cueva de las Monedas – heute ein Teil des UNESCO-Weltkulturerbes – war entdeckt.


Entdeckung durch Zufall – ein Kind im Schatten der Wissenschaft

Es gibt kaum eine dramatischere Form des wissenschaftlichen Fortschritts als den unbeachteten Fund eines Kindes. Isidoro wagte sich zunächst nur wenige Meter in die Höhle hinein. Fasziniert von den natürlichen Gängen und der geheimnisvollen Dunkelheit, kehrte er immer wieder zurück. Schritt für Schritt drang er tiefer vor. Ohne wissenschaftliche Ausbildung, ohne Ausrüstung, aber mit wachem Verstand und kindlicher Neugier kartierte er mental die Struktur der Höhle.

Er erkannte, dass es sich um etwas Besonderes handelte, sprach jedoch mit niemandem darüber. In einer Zeit, in der Geschichten von Höhlen oft mit Aberglauben und Gefahren assoziiert waren, bewahrte er sein Geheimnis.


Vom Hirten zum Zeitzeugen

Jahre vergingen. Die Herde wurde verkauft, die Familie zog weiter. Isidoro verließ die Gegend, um sein Auskommen in anderen Teilen Kantabriens zu suchen. Die Höhle geriet in Vergessenheit – zumindest aus der Sicht der einfachen Bevölkerung. Die Wissenschaft wusste indes in den Jahren von der Existenz mehrerer Höhlensysteme im Monte Castillo, darunter aber nicht die, die Isidoro einst entdeckt hatte. Seine genaue Lage, ihre Tiefenstruktur und die reichhaltigen Fundschichten blieben im Dunkeln.

Erst 1952, mehr als drei Jahrzehnte nach seinem ersten Kontakt mit der Höhle, wurde Isidoro wieder auf die Region aufmerksam. Er hatte von archäologischen Arbeiten am Monte Castillo gehört und erinnerte sich. Ein Entschluss reifte: Er würde seine Entdeckung offiziell melden.


Der Moment der Anerkennung

Am 8. April 1952 begab sich Isidoro zur örtlichen Verwaltung und berichtete dem Leiter der Führer und Forscher, Felipe Puente, von der Lage und dem Zustand der Höhle. Was folgte, war die systematische Erkundung durch Experten – diesmal mit Licht, Messgeräten und wissenschaftlichem Anspruch.

Sie fanden nicht nur eine eindrucksvolle geologische Struktur, sondern auch zahlreiche archäologische Artefakte: darunter Bärenknochen, Felsgravuren, Höhlenmalereien und – besonders bedeutsam – Münzen aus der Zeit der Katholischen Könige (15.–16. Jahrhundert), die der Höhle später ihren Namen gaben: Cueva de las Monedas, die "Höhle der Münzen".

Zuvor wurde sie von den Einheimischen „Cueva de los Osos“, also „Bärenhöhle“, genannt – in Anlehnung an die vielen Skelettfunde. Doch es waren die Münzen, die wissenschaftlich belegten, dass die Höhle nicht nur in der Altsteinzeit genutzt wurde, sondern auch in historischen Zeiten.


Wissenschaftliche Bedeutung der Cueva de las Monedas

Die Höhle gehört heute zu den wichtigsten Fundstätten der paläolithischen Kunst in Europa. Neben ihren beeindruckenden Stalaktiten und Stalagmiten birgt sie über 20 Tierdarstellungen, darunter Pferde, Hirsche und Ziegen, sowie symbolische Gravuren, deren Bedeutung bis heute nicht abschließend geklärt ist.

Ihre Position innerhalb des Systems von Monte Castillo, zu dem auch die berühmten Höhlen von El Castillo, Las Chimeneas und La Pasiega gehören, macht sie zu einem zentralen Baustein der Rekonstruktion früher menschlicher Kulturen in Nordspanien. Die Felszeichnungen werden auf etwa 12.000 v. Chr. datiert, was sie zu einem direkten Zeugnis spätpaläolithischer Kultur macht.


Die Rolle Isidoros – zwischen Randfigur und Protagonist

Trotz seiner entscheidenden Rolle wurde Isidoro Blanco Fernandez lange Zeit nur als Randnotiz in den Chroniken der kantabrischen Höhlenforschung erwähnt. Erst durch die Bemühungen seiner Nachfahren und lokaler Historiker rückte sein Name langsam ins Licht der Öffentlichkeit.

Heute findet man in wissenschaftlichen Publikationen und in den offiziellen Unterlagen des Kultusministeriums Hinweise auf seine Entdeckung und seine Mitwirkung bei der späteren Erschließung. Doch eine umfassende Würdigung blieb bislang aus. Ein Denkmal, eine Gedenktafel oder gar ein Abschnitt im Besucherzentrum – all das fehlt noch immer.

Was bleibt, ist die Erzählung – weitergegeben von Generation zu Generation. Und das lebenslange Privileg, das ihm gewährt wurde: freier Zugang zur Höhle für sich und seine Familie, ein symbolisches Zeichen der Anerkennung.


Ein Erbe in Stein gemeißelt

Die Nachkommen von Isidoro Blanco besuchen die Cueva de las Monedas regelmäßig. Für sie ist der Ort kein bloßes Museum, sondern Teil der Familiengeschichte. Sie führen Besucher mit stillem Stolz durch die Gänge, erzählen von den regnerischen Tagen, von der Neugier eines Kindes – und vom langen Weg zur Gerechtigkeit.

In einer Zeit, in der Geschichte oft in Monumenten oder Geschichtsbüchern festgehalten wird, ist es wohltuend zu wissen, dass manchmal auch die oral history, die mündliche Überlieferung, lebendig bleibt – wenn sie denn gepflegt wird.


Was Kantabrien der Welt schuldet

Die Cueva de las Monedas ist nicht nur ein lokaler Schatz, sondern ein europäisches Kulturgut. Ihr Erhalt, ihre Pflege und ihre Erforschung sind Aufgaben von internationalem Rang. Doch ebenso wichtig ist die Anerkennung jener Menschen, die – oft ohne es zu wissen – den Grundstein für diese Entdeckungen legten.

Isidoro Blanco Fernandez war kein Wissenschaftler, kein Archäologe, kein Historiker. Er war ein Hirtenjunge mit offenem Blick und Mut. Was er fand, veränderte unser Wissen über die Menschheitsgeschichte.

Und so ist es Kantabriens Pflicht, nicht nur die Steine und Gravuren zu bewahren – sondern auch die Geschichten, die sich um sie ranken.


Fazit: Der Mensch hinter dem Fund

Inmitten einer zunehmend digitalisierten und abstrahierten Welt verliert man leicht die Verbindung zu den Wurzeln. Die Geschichte von Don Isidoro Blanco Fernandez mahnt uns, dass große Entdeckungen oft mit kleinen, unscheinbaren Menschen beginnen. Sein Beispiel steht für die stille Größe, die der ländliche Raum Spaniens hervorgebracht hat – und die heute eine späte, aber verdiente Würdigung erfährt.

Es bleibt zu hoffen, dass die Institutionen des Landes, der Region Kantabrien und auch die UNESCO die biografische Dimension dieser Entdeckung stärker berücksichtigen. Ein Mensch, der einen Ort wie die Cueva de las Monedas entdeckte, verdient mehr als einen Fußnotenplatz in der Geschichte.


Mein Opa: Don Isidoro Blanco aus Renedo de Cabuerniga.



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Don Isidoro Blanco Fernandez: Der fast vergessene Entdecker der Cueva de las Monedas

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Entdecken Sie die faszinierende Geschichte von Don Isidoro Blanco Fernandez, dem fast vergessenen Entdecker der Cueva de las Monedas in Kantabrien – eine der bedeutendsten Höhlen Spaniens und UNESCO-Weltkulturerbe.

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